Mit Digitalisierung die Energiewende voranbringen

Jenas Schritte zum virtuellen Kraftwerk

Unser Reallabor der Energiewende JenErgieReal hat den ersten Meilenstein erreicht: Die Machbarkeitsanalyse wurde erfolgreich abgeschlossen. In den acht Teilprojekten wurden Anforderungen definiert, Rahmenbedingungen geprüft, erste Daten erhoben, wertvolle Erkenntnisse gewonnen, Umsetzungshürden festgestellt und – natürlich – konkrete Ideen entwickelt, wie das geplante virtuelle Kraftwerk in Jena Realität werden könnte. Wir geben euch einen Überblick über die Zwischenergebnisse.

Digitalisierung soll der Schlüssel sein

Ein Jahr Projektarbeit liegt inzwischen hinter den Verbundpartnern von JenErgieReal. Und auch wenn sich die (Energie-)Welt seit den ersten Projektideen in 2019 und erst recht in den vergangenen Monaten massiv verändert hat: Die Ansätze von JenErgieReal haben weiterhin (oder: jetzt erst recht) Relevanz. Davon ist Verbundprojektkoordinator Ronny Kreißl von den Stadtwerken Jena Netze überzeugt. Schließlich will JenErgieReal vor Ort in Jena Wege erproben, wie der durch die gleichzeitige Energie-, Wärme- und Verkehrswende steigende Strombedarf gedeckt werden kann – und das aus erneuerbaren Energien und ohne massiven Netzausbau. Digitalisierung soll dafür der Schlüssel sein. Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende vor Ort leisten.

Konkret ist geplant, bis 2027 vor Ort in Jena ein virtuelles Kraftwerk zu errichten. (Mehr Informationen dazu und zu den Anfängen des Projektes gibt es hier). Das virtuelle Kraftwerk soll Erzeuger, Verbraucher und Speicher von Strom und Wärme digital verknüpfen und in Echtzeit steuerbar machen. Darüber hinaus will JenErgieReal die Auswirkungen der Energiewende auf die Menschen untersuchen und Kriterien herausarbeiten, wie mindestens Akzeptanz, besser noch Unterstützung für diesen wichtigen Transformationsprozess erreicht werden kann.

Wo stehen die Projektpartner von Stadtwerken Energie, Stadtwerken Jena Netze und jenawohnen, Westsächsischer Hochschule Zwickau und Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Stadt Jena, AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen und Brunata Metrona inzwischen?

Messkampagne zur Netzauslastung in der Niederspannung 

Das geplante virtuelle Kraftwerk soll v.a. in der Niederspannungsebene umgesetzt werden. Es umfasst insbesondere den Stromverbrauch in Haushalt, Kleingewerbe und Verkehr und die Erzeugung durch Dach- und Balkon-PV-Anlagen. Und es wirkt sich (zunächst) in eher lokal begrenzten Netzbereichen aus. Doch gerade hier liegen den Stadtwerken, anders als im stadtweiten Mittelspannungsnetz, bisher kaum Echtzeitdaten vor. Deshalb setzt das Team um Tobias Nachtwey, Bereichsleiter Strom bei den Stadtwerken Jena Netze, aktuell eine Messkampagne in Teilen des Jenaer Niederspannungsnetzes um. Dafür wurden ausgewählte Trafostationen mit Messgeräten ausgestattet, die nun via Mobilfunknetz minütlich Messwerte an eine von der Westsächsischen Hochschule Zwickau betriebene Datenplattform senden. Sie liefern aktuelle Erkenntnisse über die tatsächliche Netzauslastung, in dem die Ein- und Ausspeisungen sowie weitere Parameter erfasst werden. Diese Daten ermöglichen, erstmals eine Aussage über die tatsächliche Netzauslastung. Und sie bilden die Grundlage für die Dimensionierung von netzdienlichen Stromspeichern, welche ein wichtiges Element des virtuellen Kraftwerks bilden. 

Mikrokontrakte ermöglichen lokalen Energiehandel 

Das geplante virtuelle Kraftwerk soll dezentral arbeiten. Es soll keine riesige Datenzentrale zur Steuerung der in das Kraftwerk integrierten Anlagen aufgebaut werden. Vielmehr sollen Erzeuger und Verbraucher von Strom und Wärme direkt miteinander kommunizieren und mit ihren Energiemengen und -verbräuchen selbstständig handeln können. Technisch wären die dafür nötigen Mikrokontrakte mittels Blockchain-Technologie bereits jetzt gut und sicher umsetzbar, berichtete Christian Schöffl aus dem Bereich Energiewirtschaftliche Dienstleistungen bei den Stadtwerken Energie. Allerdings stehen eine ganze Reihe von gesetzlichen und operativen Vorgaben einer schnellen Umsetzung im Wege. So ist beispielsweise das aktuell in der Energiebranche geltende Bilanzierungsmodell im Viertelstunden-Takt für diese Art des lokalen Energiemarktes, der mit volatiler Einspeisung und schnell schwankenden Verbräuchen umgehen muss, viel zu träge. 

Modellquartier könnte am Salvador-Allende-Platz entstehen

Weil die stetig steigenden Betriebskosten inzwischen zu einer Art „zweiten Miete“ geworden sind, engagiert sich jenawohnen bei JenErgieReal. Der gerade in Sanierung befindliche Plattenbaukomplex am Salvador-Allende-Platz soll voraussichtlich zu einem ersten Modellquartier werden, berichtet Philipp Roth vom technischen Management von jenawohnen. Im Rahmen der Machbarkeitsanalyse wurden mehrere potenzielle Modellquartiere identifiziert, in denen PV-Anlagen, Speicher und Ladeinfrastruktur in das Projekt integriert werden können. Diese Liegenschaften werden mit intelligenten Fernwärme-Hausanschlussstationen (iHAST) und die Wohnungen mit den Kairos-Messsystemen von Brunata Metrona ausgerüstet. Ziel ist es, ab dem Jahr 2025 und dem Abschluss der Konzeptionsphase die ersten Elemente des virtuellen Kraftwerkes im Stadtgebiet umzusetzen und diese einzeln und im Verbund zu erproben. 

Gezielte Verbrauchssteuerung bis auf die Wohnungsebene

Im Vorprojekt Smartes Quartier Jena-Lobeda sind allein durch eine digitale Heizungssteuerung (gepaart mit Fugensanierung und Kellerdeckendämmung) bis zu 30 Prozent (Heiz-)Energie eingespart worden. Möglich machte das eine zentrale Datenerfassung und -steuerung der Hausanschlussstation über das von Brunata Metrona entwickelte Kairos-Messsystem. In JenErgieReal soll dieser Ansatz nun erweitert werden: Auf die Erfassung und Steuerung von Strom- und Wärmeverbräuchen und auf die Ebene einzelner Wohnungen, einzelner Räume innerhalb der Wohnung und ja sogar einzelner Verbraucher innerhalb der Wohnung. Wie Franz Schröder von Brunata Metrona berichtete, laufen die Planungen für eine Ausstattung der künftigen Wohnungen am Salvador-Allende-Platz bereits. Parallel dazu soll zu Testzwecken auch das Smarte Quartier in der Ziegesarstraße mit weiteren Kairos-Geräten nachgerüstet werden. 

Von Abwärme bis Stromüberschuss: Heizenergie aus allen verfügbaren Quellen gewinnen

Wie die Wärmeerzeugung in die angestrebte konsequente Sektorenkopplung einbezogen werden kann, untersuchen die Stadtwerke Energie. Aktuell beschäftigt sich das Team um Marcus Wöckel aus dem Bereich Energiewirtschaftliche Dienstleistungen und Erzeugung (EDE) damit, die in den Modellquartieren geplanten iHAST mit Hilfe des Kairos-Systems noch besser zu steuern. So könnten die gemessenen Wärmeverbrauchsdaten dazu dienen, den Vorlauf im Objekt bedarfsgerecht zu reduzieren oder zu erhöhen. Auch könnte der Rücklauf genutzt werden, um mittels Wärmepumpen Warmwasser zu erzeugen. Ein solches System könnte zudem das Problem der im Sommer oftmals zu hohen Rücklauftemperaturen lösen helfen. Daneben untersuchen die Stadtwerke den Einsatz von Großwärmepumpen auf Quartiersebene, die als kurzfristige Stromsenke dienen könnten, wenn es Energieüberschüsse im Netz gibt. Die Nutzung der Abwärme aus Schnellladevorgängen zur Wärmeerzeugung für ein Nahwärmenetz ist ein weiteres Arbeitsfeld. 

Zentraler Showroom soll Ergebnisse sichtbar machen

Um die Vorbehalte der Menschen gegenüber der Energiewende auszuräumen, braucht es v.a. mehr Information. Um dafür einen Ort zu schaffen, plant die Stadt Jena derzeit unter dem Arbeitstitel „StadtLab Energie“ einen Showroom für das Projekt JenErgieReal. Dieser soll an einem zentralen Platz in der Innenstadt eingerichtet werden und sowohl eine Ausstellung zum Stand der Energiewende in Jena beheimaten als auch ein Ort für Diskurs, für wissenschaftlichen Austausch und Bildungsangebote sein, kündigte Dr. Kerstin Schenkel vom Dezernat Stadtentwicklung an. 

 

Den Blick weiten: Länger selbstbestimmtes Leben ermöglichen

Die durch das Kairos-System gesammelten Verbrauchsdaten für Strom und Wärme können aus Sicht der AWO nicht nur dabei unterstützen, Energie zu sparen und die Stromnetze zu entlasten. Sie können auch dabei helfen, älteren Menschen eine längere Zeit ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Die Idee, mit innovativer Technik pflegebedürftige Menschen im Alltag zu unterstützen, wird unter dem Begriff Ambient Assisted Living (AAL) zusammengefasst. Kairos soll hierfür als IT-Infrastruktur dienen und neben Strom-, Wärme-, Wasser- und Abwasserverbräuchen auch Aktivitäten in den Wohnungen erfassen und Abweichungen von der Alltagsroutine an das Pflegepersonal melden, damit diese Hilfe organisieren können. Erste derart ausgestattete Modellwohnungen könnten am AWO-eigenen Wohnpark Lebenszeit in der Rudolf-Breitscheid-Straße und möglicherweise auch in ausgewählten Wohnungen am Salvador-Allende-Platz entstehen, berichtete Robert Friedrich von der AWO. Zudem sind an den Standorten erste Tests für die Einbindung von moderner E-Mobilität für das Projekt geplant. 

Den Blick weiten: Stadtweite Befragung zur Energiewende

Unter dem Überbegriff „Mensch-Technik-Interaktion“ fasst die Ernst-Abbe-Hochschule Jena eine Reihe sozialwissenschaftlicher Begleitforschungsmaßnahmen zusammen, die ermitteln sollen, wie die Menschen mit den durch die Energiewende bedingten Veränderungen umgehen. Erstes Ergebnis: Je höher die Menschen ihren Einfluss und Gestaltungsspielraum einschätzen, umso größer ist die Akzeptanz. Die Menschen frühzeitig einzubeziehen und ihnen Möglichkeiten zu geben, von den Vorteilen zu profitieren, kann also ein Erfolgsrezept für die Transformation sein. Um in dieser Hinsicht weitere Erkenntnisse zu gewinnen, ist für 2024 eine stadtweite Befragung der Menschen zum Thema Energiewende geplant, kündigte Matthias Schirmer von der Hochschule an. 

DigitalGipfel in Jena, Deutschland, 20. November 2023
Credit: BMWK / bundesfoto / Christina Czybik

IT-Infrastruktur steht: Daten, Daten, Daten – von überall nach überall

Der „vertikale Durchstich“ ist sowas wie das Zauberwort in Sachen IT-Architektur rund um das Virtuelle Kraftwerk. Und dass der nun erreicht sei, kann Manoel Kraus von der Westsächsischen Hochschule Zwickau verkünden. Damit ist nun gewährleistet, dass alle gesammelten Daten (z.B. die verschiedenen Messwerte aus Trafos, aus Wohnungen, aus Speichern) jeweils von der Quelle bis zu jedem denkbaren Ort ihrer Nutzung fließen und sicher verarbeitet werden können. Bei der dezentralen Struktur unseres virtuellen Kraftwerks können das jeweils einzelne Elemente des Kraftwerksverbundes sein (Erzeuger, Verbraucher, Speicher), aber auch das Hintergrundsystem des Netzbetreibers. Damit ist eine wichtige Grundlage dafür gelegt, dass die intelligente Anlagensteuerung in Echtzeit – zumindest IT-technisch – gelingen kann. 

Sie wollen mehr zum Projekt JenErgieReal oder anderen Projekten erfahren, dann besuchen Sie uns auf unserer Internetseite.

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