Von „Fiebermessen“ bis Ultraschall: Werkstoffprüfer untersuchen Jenaer Fernwärmeleitungen

Mehr als 50 Jahre sind einige der Jenaer Fernwärmeleitungen nun schon in Betrieb. Inwiefern ihnen „der Zahn der Zeit“ inzwischen zugesetzt hat, lassen die Stadtwerke Jena Netze regelmäßig wissenschaftlich prüfen. Dafür arbeiten sie mit dem Günter-Köhler-Institut für Fügetechnik und Werkstoffprüfung (ifw Jena) zusammen. Wir waren bei einer der Messungen dabei.

Der Instrumentenkasten der Werkstoffprüfer passt in zwei große schwarze Koffer. Und viel mehr Material hätten wir auch gar nicht balancieren können, als wir an einem trüben Herbsttag in Lobeda-West die schmale Leiter zum Leitungskanal unter der Karl-Marx-Allee hinabklettern. Unten empfangen uns scheinbar endlos lange Gänge, erstaunlich viel Licht, überraschend wenig Spinnweben ;-) und eine mollige Wärme. Letztere wird uns noch zu schaffen machen, denn nun gilt es in diesem Tunnelsystem genau jene Stellen (wieder) zu finden, an denen die Werkstoffprüfer vom ifw Jena alle vier Jahre ihre Materialtests durchführen. 

35 feste Prüfstellen regelmäßig im Blick 

Ich begleite heute Christian Straube, den Leiter des Werkstoffprüflabors am ifw Jena, und seinen Mitarbeiter Christoph Weidig. Es stehen die letzten Messungen in der aktuellen Prüfreihe zur Lebensdauerüberwachung unserer Fernwärmeleitungen an. Dafür untersuchen die Werkstoffprüfer alle vier Jahre insgesamt 35 Monitoringstellen an neun verschiedenen Orten in unserem Netz.

Da die Materialprüfung nicht kontaktlos erfolgen kann, befinden sich diese ausschließlich an für die Wissenschaftler erreichbaren Trassen: An den oberirdisch verlegten Leitungen im Paradiespark, Winzerla und Lobeda sowie in den begehbaren Leitungskanälen in der Stadtmitte, Lobeda-Ost und -West. „Wir messen an den immer gleichen Stellen die immer gleichen Parameter“, erläutert Christian Straube. „So können wir Veränderungen an den verwendeten Materialien erkennen und den Stadtwerken rechtzeitig Hinweise auf mögliche Schäden geben.“ Beruhigende Erkenntnis der aktuellen Prüfreihe: „Keine Auffälligkeiten.“

Fakten liefern, wo Erfahrungswerte fehlen

Nun aber, auf geht’s. Koffer und Kameras geschultert, schlängeln wir uns die schmalen Gänge neben den Fernwärmerohren entlang. Vorbei an den dort ebenfalls verlegten Gas- und Wasserleitungen, IT-Kabeln und sonstigen technischen Anlagen führt unser Weg. Kurve links, Kurve rechts, und dann immer geradeaus, bis wir an einer Art „Trassenknotenpunkt“ endlich unser Ziel erreichen. Laut Beschreibung befinden wir uns nun irgendwo zwischen dem Servicecenter von jenawohnen und Kaufland, unterirdisch wohlgemerkt. Eine Fachfirma hat für uns bereits den hellgrauen Isolationsmantel von den Fernwärmeleitungen entfernt. Zu sehen sind nun die blanken (leicht rostbraunen) Stahlrohre. 

„Wir arbeiten schon viele Jahre mit dem ifw Jena zusammen und sind sehr froh über diese Kooperation“, hatte mir Bernd Heinemann, Bereichsleiter Fernwärme bei den Stadtwerken Jena Netze, im Vorfeld erzählt. Das Jenaer Fernwärmenetz stammt aus den 1970er und 1980er Jahren, einige Fernwärmeleitungen sind also fast 50 Jahre in Betrieb. Die Rohre sind großer Hitze, Feuchtigkeit von außen und innen, hohem Druck und vielen anderen Einflüssen ausgesetzt. „Wie sich das über einen so langen Zeitraum auf die Materialien auswirkt, dazu gibt es wenig Erfahrungswerte“, so Heinemann weiter. Die Erkenntnisse des ifw Jena sollen hier Licht ins Dunkel bringen. Sie sollen mit Fakten untermauern, dass die damals verbauten Stahlleitungen immer noch sicher und zuverlässig arbeiten. 

„Fiebermessen“ und Ultraschall zeigen Zustand der Rohre

Unterdessen machen sich die Wissenschaftler im Leitungskanal unter der Karl-Marx-Allee an die Arbeit. Mit Kreisen und Datumsangaben markierte Stellen zeigen die jeweiligen Messpunkte an. „Los geht es immer mit einer Sichtprüfung auf Rost und andere äußerliche Veränderungen“, erläutert Christoph Weidig, während er Fotos von den Leitungen macht. „Danach schließt sich ein festes Messprogramm an, das die Stahlrohre auf spezielle Materialeigenschaften hin überprüft.“

So werden mit einem großen Messschieber Umfang und verschiedene Querschnitte der Leitungen millimetergenau erfasst. So könnten mögliche Verformungen des Stahls sichtbar werden. Mit einem speziellen Oberflächenthermometer (das mich stark an ein Bratenthermometer erinnert) werden Isolier- und Wärmeleitfähigkeit des Stahls gemessen. Veränderte Werte könnten ein Indiz für eine verringerte Wandstärke des Metalls sein.

Ein ähnliches Ziel verfolgt auch die anschließende Ultraschalluntersuchung. Christoph Weidig bestreicht seine Messpunkte mit Tapetenkleister (sein Geheimtipp in Sachen Leitfähigkeit). Dann fährt er mit dem Schallkopf abwechselnd über das Stahlrohr und zum Vergleich über unterschiedlich dicke Metallstücke. „Mit dieser Untersuchung wollen wir ausschließen, dass z.B. Rost der Leitung von innen zusetzt und die Stahlhülle immer dünner wird“, erklärt der ifw-Mitarbeiter. Und nicht zuletzt kommt noch ein spezielles Gerät zur mobilen Härtemessung zum Einsatz. Auch damit kann die Stabilität der verwendeten Stahlrohre überprüft werden. Alle Ergebnisse werden protokolliert und vervollständigen die Datenreihen aus den vergangenen Jahren.

„Interessant ist, dass in den unterschiedlichen Trassenabschnitten in Jena sehr unterschiedliche Materialien verwendet wurden“, erläutert Christian Straube. „Weil die Einbauzeit teilweise schon so weit zurückliegt, können wir uns bei unserer Werkstoffprüfung nicht auf vorhandene Sollwerte für das jeweilige Material beziehen. Aber wir sehen Veränderungen und können die Stadtwerke auf Abweichungen vom Erwartbaren hinweisen. Zum Glück ist das bisher selten nötig gewesen.“   

Wärmebildflug bis Kamerabefahrung: Großer Aufwand für die Sicherheit 

„Leider können wir derartige Untersuchungen nur an den frei zugänglichen Fernwärmeleitungen vornehmen lassen“, bedauert Bernd Heinemann. Bei den in der Erde verlegten Trassenbereichen muss er auf andere Untersuchungsmethoden zurückgreifen. Hier setzen die Stadtwerke auf Kamerabefahrungen der Leitungen, die Befliegung mit Wärmebildkameras und auf ein elektronisches Leckwarnsystem. „Die Themen Versorgungssicherheit und Netzstabilität stehen ganz oben auf unserer Agenda“, betont der Bereichsleiter. Schließlich haben Störungen im Fernwärmenetz stets hohe Auswirkungen auf unsere Kunden. Denn anders als das ringförmig strukturierte Stromnetz ist das Fernwärmenetz strahlenförmig aufgebaut. Das heißt, die Leitungen führen direkt vom Kraftwerk in die Stadtteile und wieder zurück; Querverbindungen zum Überbrücken möglicher Schadstellen gibt es meistens nicht. 

„Wir tun im Bereich der Versorgungssicherheit schon sehr viel – und sind dennoch vor Havarien wie der im Februar 2021 in Jena-Nord nicht gänzlich gefeit. Allerdings spüren wir dank unserer regelmäßigen Untersuchungen und der breiten Datenbasis, die wir auch mit Hilfe des ifw Jena aufgebaut haben, die meisten Schwachpunkte auf, ehe es überhaupt zu Schäden kommt.“  

Wie funktioniert eine Werkstoffprüfung? – Hier ein Videoeinblick

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