Von Ladewüste und Ladeorgie: Mit dem E-Auto nach Schottland

Überzeugungstäter in Sachen Elektromobilität: Als vor knapp zehn Jahren noch keiner so recht an E-Mobilität glaubte, tauschte Christopher Gieb seinen Verbrenner bereits gegen ein E-Auto. Und als 2019 noch über mangelnde Rahmenbedingungen diskutiert wurde, fuhr er einfach los: 2.400 Kilometer quer durch halb Europa, von Deutschland nach Schottland. Ich sprach mit dem heute 37-Jährigen über seine besondere Reise.

Christopher Gieb mit Freund Jonathan (links) auf ihrem Roadtrip in Liverpool / England.

Herr Gieb, wie kamen Sie auf die Idee für Ihre elektromobile Reise?

Mit meinem Freund Jonathan aus Chicago stand schon lange ein Road-Trip nach Schottland auf dem Plan. Wir trafen uns im Herbst 2019 in London, um von dort gemeinsam zu starten. Der Flug dorthin war mir zu unflexibel – wenn ich fliege, dann nur noch interkontinental. Da ich zwei Wochen zuvor einen E-Langzeitmietwagen bekam, dachte ich: Warum nicht gleich damit bis Schottland fahren?

Mit was für einem Auto waren Sie unterwegs?

Das war ein Hyundai IONIQ, Baujahr 2017. Das Fahrzeug der mittleren Kompaktklasse war ein reines Elektroauto mit 28 kWh-Batterie. Damit waren Reichweiten zwischen 180 und 200 Kilometern möglich – nicht wirklich üppig. Ich machte mich im Vorfeld auf eine echte Ladeorgie gefasst. Doch so schlimm wars dann nicht: Mit circa 67 kW DC-Ladeleistung konnte ich oft schon nach 15 bis 30 Minuten Ladepause weiterfahren.

Wie war Ihre Route?

Überblick über die zurückgelegte Strecke – nur der „Abstecher“ nach Liverpool ist nicht verzeichnet.

Gestartet bin ich in Thüringen, dann führte meine Route durch die Niederlande, Belgien und Frankreich, wo ich in Dunkerque die Fähre nach Calais nahm. Von dort ging es nach London und ab dort gemeinsam nach Edinburgh in Schottland. Auf dem Rückweg setzte ich ein Stück auf „Dieselpower“ und nahm die Fähre von Newcastle in England nach Amsterdam. Die Tour von dort zurück nach Thüringen war dann nur noch ein „piece of cake“, wie die Briten sagen würden. Insgesamt bin ich knapp 2.400 Kilometer rein elektrisch gefahren und habe dabei etwa 390 Kilowattstunden Strom verfahren. Dafür musste ich insgesamt 22-mal laden.

Welche Herausforderungen mussten Sie meistern?

Die größte Herausforderung: ich hatte zwar ein super Elektroauto – der Hersteller begann aber gerade erst damit, in Schnelllader zu investieren. Ich musste mich also auf unterschiedliche Ladestromanbieter vorbereiten. Dabei zeigten sich von Land zu Land teils erhebliche Unterschiede: In Deutschland und den Niederlanden fand ich auf meiner Strecke schon damals genügend Schnellladestationen; das Laden startete ich unkompliziert per Handy oder Ladekarte. Das Angebot an verlässlichen Schnellladern wurde allerdings in Belgien schon dünner und Frankreich entpuppte sich dann als Ladewüste. Auch mit den Lade-Apps war es nicht immer leicht – vor allem in England und Schottland: Obwohl ich fünf verschiedene davon auf meinem Handy hatte, musste ich oft auf andere ausweichen und das „Freischalten“ der Ladestationen war hier ebenfalls zäher. Aber am Ende bin ich immer zum Ziel gekommen.

Gab es auch „bange Momente“ beim Nachladen?

Ja, in Frankreich. Ich durchquerte das Land zwar nur etwa 30 Kilometer, aber in der Nähe meines Hotels gab es weit und breit keine Ladestation. So wurde die Fahrt zur Fähre am nächsten Morgen spannender als gewollt. In England fand ich dann die rettende Schnelllademöglichkeit und die Zwischenetappe „London“ war schnell erreicht.

War das ein Urlaub des Ladens – oder konnten Sie auch was sehen?

Natürlich, wir haben immer Stopps eingelegt, um Land und Leute kennenzulernen. In London machten wir drei Tage „Sightseeing“. Für Liverpool nahmen wir uns zwei Tage Zeit, um die Geburtsstadt der Beetles zu erkunden. Und im schottischen Edinburgh blieben wir auch mehrere Tage. An einem Tag haben wir eine Rundreise in die Highlands unternommen, die Landschaft ist einfach atemberaubend schön. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch keinen Winter in Deutschland erlebt habe, der so kalt war, wie der Herbst in Schottland.

Was hat die Fahrt im Vergleich zum Verbrenner gekostet?

Die Reise hat mich etwa 100 Euro für Strom gekostet. Da Laden damals oft noch kostenlos war, sind die Kosten schwer mit denen für Benzin oder Diesel zu vergleichen. Heute würde ich circa 156 Euro für die Fahrstrecke von 2.400 Kilometer bezahlen (bei 16,3 kWh auf 100 Kilometer). Für den gleichen Betrag bekäme ich etwa 97 Liter Benzin (bei 1,60 Euro je Liter). Damit würde ein Verbrenner nur etwa die Hälfte der Strecke schaffen.

Würden Sie so eine Tour noch einmal machen?

Klar, noch im September starte ich mit meiner Freundin nach Triest in Italien und das natürlich wieder rein elektrisch. Seit 2019 haben sich E-Autos und Ladeinfrastruktur rapide verbessert. Mein damaliges E-Auto habe ich inzwischen abgegeben und mir einen lang ersehnten Traum erfüllt: ein Tesla mit 55 Kilowattstunden (LFP) Akku und einer zugehörigen Ladeinfrastruktur, die zu 100 Prozent zuverlässig ist und sich von Moskau bis Porto und vom Nordkap bis nach Sizilien erstreckt. Ich nenne das Auto auch gern mein „Europaticket“ – und werde noch einige Road-Trips damit starten.

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